Lilli Lička, Univ.Prof.in DI.in

© Lilli Lička

Landschaftsarchitektin, Vorständin des Instituts für Landschaftsarchitektur an der BOKU und Inhaberin von LL-Landschaftsarchitektur in Wien, Teil von – Büro für lustige Angelegenheiten und Mit-Initiatorin von Westbahnpark.Jetzt

„Ein Möglichkeitsraum unter freiem Himmel.“

Interview

Was zeichnet die große Fläche des sogenannten Naschmarkt Parkplatzes Ihrer Meinung nach aus?

Im dicht bebauten Stadtraum von Wien sind große freie Flächen wie der Naschmarkt-Parkplatz selten geworden. Hier sind noch Teile eines Landschaftsraumes erlebbar, der vom Wasserlauf des Wienflusses gebildet wurde: Der breite, freie, geschwungene Korridor zwischen der Bebauung beidseits des Wientals. Er bietet Blicke in die Ferne und hält ein großes Himmelsfenster offen, was in der urbanen Dichte ein besonderes Erlebnis ist. Auch die Luftschneise aus dem Wienerwald sorgt für die nächtliche Abkühlung und macht das Stadtklima wesentlich erträglicher. Die große repräsentative Promenade, die Otto Wagner hier mit vielfachen Baumreihen als Westeingang zur Stadt geplant hatte, mag heute vielleicht nicht mehr angebracht sein, das Freihalten dieses Raumes von Bebauung und das Erhalten der Möglichkeit, die Stadtlandschaft über die markante Morphologie zu erleben, fordert aber einen sehr sensiblen Umgang. Und Baumreihen wären eine gute Lösung gegen die urbane Überhitzung.

Neben dieser großmaßstäblichen Betrachtung des Stadtraumes ist seine lokale Bedeutung zu berücksichtigen. Der Wienfluss verbindet den Wienerwald mit der Innenstadt, in seiner Querrichtung allerdings wirkt er trennend und wird deshalb an mehreren Stellen über Brücken und and anderen mit Überplattungen überwunden. Beim Flohmarkt/Pakplatz beginnt die große Überwölbung, weshalb hier die Verbindung der Bezirke oberflächlich gegeben ist. Ein Freiraum, der Aneignung ermöglicht, in dem sich also verschiedene Personen aufhalten und frei bewegen können, kann eine Grenze auflösen helfen.

Die mehrfache Bespielung des derzeitigen Platzes als Parkplatz, Flohmarkt und Rad- und Fußbereich zeigt sein urbanes Potenzial auf: Hier kann Verschiedenes passieren, Aneignung ist möglich, das Freiraumnetz erweitert sich. 

Wie sehen Sie die aktuellen Entwürfe einer Markthalle am Naschmarkt Parkplatz, aus Ihrer Fachperspektive?

Die Vorschläge zur Überdachung dieses Bereiches konterkarieren diese Qualitäten, reduzieren den öffentlichen Raum als freie Benutzeroberfläche und legen auch optisch die Kommerzialisierung des gesamten Raumes nahe – Markthallen werden in den verschiedenen Großstädten zu Attraktionen für Touristen, das Angebot an Grundversorgung der Anwohnenden wird entsprechend überlagert. Der Übertourismus, dem der Naschmarkt bereits jetzt ausgesetzt ist und der ihn zur Gastro-Meile macht, würde durch eine Markthalle hier fortgesetzt. 

Wie kann es Ihrer Meinung nach gelingen die Lebensqualität der WienerInnen und AnrainerInnen durch die Gestaltung des Platzes zu verbessern?

Was dem Platz entspräche – es handelt sich weitgehend um eine Dachfläche über Fluss und U-Bahn, was die Begrünungsmöglichkeiten auf Pflanzungen an den Rändern (Baumreihen) und statisch auszulotende Trogpflanzungen in der Mitte beschränkt – wäre eine Nutzung, die das umliegende Freiraumspektrum ergänzt und gestalterisch das Erleben des Stadtraums unterstützt. Eine kleinteilige Parkanlage mit Spielbereich und Hundezone darf es also nicht sein, sondern vielmehr ein offener Platz mit randlichen Bäumen, wo Kultur und Bewegung möglich bleiben, sich entwickeln und verändern können. Der Flohmarkt könnte eine der Nutzungen bleiben, die dieser Platz bietet. Internationale Beispiele von urbanen linearen Freiräumen, auch solche auf Überplattungen, zeigen das Spektrum auf, das hier möglich ist. Paris, Madrid, Kopenhagen, New York. 

Wie stehen Sie als Wienerin zu dem aktuellen Entwurf?

Als in Wien lebende Landschaftsarchitektin sehe ich hier die Chance für einen urbanen Freiraum, der zeitgemäßen Nutzungen Platz bietet und in der tageszeitlichen, wöchentlichen und jahreszeitlichen Abfolge gänzlich unterschiedliche Funktionen erfüllt, eine echte Benutzer*innenoberfläche, einen Möglichkeitsraum – unter freiem Himmel!

Siehe auch:
Lilli Lička, Roland Tusch (2011):  „Wiental aus der Sicht der Landschaftsarchitektur“ in: Magistrat der Stadt Wien, MA 18, EXPERTINNENFORUM ZIELGEBIET WIENTAL, Werkstattbericht 117 https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/studien/pdf/b008350.pdf, S.84-91