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Rosemarie Stangl, Univ. Prof. DIin Dr.in
Leiterin Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau der BOKU Wien
© Ulrike Pitha
Ulrike Pitha, Priv.Doz. DIin Dr.in
Arbeitsgruppenleitung Vegetationstechnik, Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau der BOKU Wien
„Mut zur modernen Klimawandelanpassung: alternative Schattenspendung durch grüne Überdachungen.“ (Rosemarie Stangl und Ulrike Pitha)
Interview
Ich würde Sie bitten sich kurz vorzustellen.
Univ. Prof. DI Dr. Rosemarie Stangl, Leiterin Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau der BOKU Wien
Priv.Doz. DI Dr. Ulrike Pitha, Arbeitsgruppenleitung Vegetationstechnik, Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau der BOKU Wien
Wie sehen Sie die aktuellen Entwürfe einer Markthalle am Naschmarkt Parkplatz, aus Ihrer Fachperspektive?
Aus der Sicht eines witterungsunabhängigen Naschmarktbetriebs ist eine Überdachung nachvollziehbar. Die Hitzeproblematik einer „Betonwüste“ (s. Medienberichte) wird man mit einer Glaskonstruktion weniger gut lösen können.
Ist die Markthalle eine klimafreundliche und moderne Lösung? / Wie schätzen Sie die Klimaverträglichkeit dieser Planung ein?
Für die offene Markthalle ist mit Sicherheit eine moderne Architektur erwartbar, als moderne Lösung gegen urbane Hitzespots kann eine Glasüberdachung wohl nicht gesehen werden.
Es ist ein sehr konventioneller Zugang, Beschattung ausschließlich durch harte Materialien und abstrahlende Oberflächen erreichen zu wollen.
Ob das Bauvorhaben klimaverträglich und der ökologische Fußabdruck vertretbar sind, muss mittels Ökobilanzierung errechnet werden. Ein verträgliches Kleinklima unterhalb eines Glasdaches kann nicht ernsthaft erhofft werden.
Ist eine Halle aus Glas die beste und klügste Möglichkeit eine Kühlwirkung zu erzielen?
Kühlung oder kühlende Wirkung kann ohne zusätzliche Energiezufuhr unter Glas nicht erwartet werden. Es wird keine Schattenwirkung erreicht, die Temperaturbelastung durch die globale Sonneneinstrahlung erhöht sich unter Glas zusätzlich. Ein Hitzestau ist vermutlich auch bei seitlich offener Konstruktion unvermeidlich.
Welche zusätzlichen Kosten würde eine Markthalle für das Klima bedeuten? (Kühlung der Fläche euch Wasser, etc.)
Details der geplanten Maßnahmen und notwendige Kühlung sind nicht bekannt, zu den Errichtungskosten sind auf jeden Fall auch Betriebs- und Wartungskosten einzurechnen.
Gibt es andere moderne Lösungen den Platz zu kühlen?
„Moderne“ Lösungen gibt es zahlreiche, nicht alle davon sind Ressourcen schonend, und viele erreichen die erwünschte Wirkung nicht.
Die wirksamsten Lösungen sind nach wie vor die Öffnung harter und grauer Oberflächen (Asphalt, Beton) und die Verwendung von durchlässigen Materialien, die gleichzeitig Wasser speichern und langsam wieder verdunsten können – alleine dadurch entsteht ein Kühleffekt. In Kombination mit beschattender Vegetation und Baumkronendächern kann die gefühlte Temperatur erfolgreich reguliert werden, ein Effekt, den wir von jedem Park kennen.
Herausfordernd für die Naschmarktsituation sind grundsätzlich die Brückenkonstruktion über U-Bahn- und Wienflussniveau sowie die Nutzung und der Marktstandbetrieb, mit dem auch viel Logistik verbunden ist, d.h. hohe Belastungen und Betriebsfrequenzen. Das erfordert eine professionelle Aufbau- und Oberflächenplanung u.a. mit leichten Speichermaterialien, technischen Substraten sowie belastbaren und überfahrbaren Aufbauten, wie sie in der Vegetationstechnik bereits zu vielen Zwecken eingesetzt werden, Unbedingt notwendig sind ausgewiesene unterschiedliche Nutzungszonen und passende Leitsysteme für den Lieferantenverkehr.
Wenn die Brückenkonstruktion statisch eine großflächige Überdachung verträgt, ist davon auszugehen, dass auch eine – zumindest teilweise – Grünüberbauung für diese Standortsituation gut und sinnvoll gelöst werden kann.
Kennen Sie aktuelle „good practice“ Beispiele, die hier als Vorbild für eine moderne und klimafreundliche Freiraumgestaltung dienen können?
Grünüberbauungen sind seit Jahrzehnten Standardlösungen, auch über U-Bahn-Gelände wie etwa der Resselpark, oder viele andere unterirdische Infrastrukturen (z.B. überbaute Parkgaragen – Tigerpark, 8. Bez.). Der professionelle Einsatz von passenden Gehölz- und Pflanzenarten, die mit solchen „künstlichen“ Standortsituationen gut umgehen können, ist wichtig, v.a. um unnötige Gewichtsbelastungen zu vermeiden. Pflanzen nutzen in der Regel den Wurzelraum, den sie zur Verfügung haben. Wenn dieser wie bei Überbauungen eingeschränkt ist, macht sich das auch in ihrer Wuchskraft und -höhe bemerkbar. Großbäume sind nicht geeignet, würden hier aber auch ihre potenziell natürliche Höhen nicht erreichen.
Moderne Lösungen können etwa konstruktive Gitterkonstruktionen sein, die von Kletterpflanzen bewachsen werden und dadurch Strahlung abschirmen. Vorbilder sind hier etwa der MFO-Park in Zürich (https://gruenstattgrau.at/projekt/mfo-park-in-zuerich/) oder die Planungsidee für den Roten Platz Solothurn (https://gruenstattgrau.at/projekt/roter-platz-solothurn/).
Jedoch kann hier auch auf historische Lösungen mit Laubengängen und Treillagen in Kombination mit Kletterpflanzen wie z.B. im Kronprinzengarten Schönbrunn (https://www.bundesgaerten.at/schlosspark-schoenbrunn/Kronprinzengarten.html) verwiesen werden. Damit können Grünüberdachungen, wie riesige Pergolen oder Laubengänge, erreicht werden, die die nötige Beschattung sowie Kühleffekte liefern.
Wie stehen Sie als Wienerinnen zu dem aktuellen Entwurf?
Das traditionelle Marktbild gegen moderne Architektur zu tauschen, ist Ansichtssache. Die angestrebte Nutzung der Fläche sowie die gewünschte Aufenthaltsqualität müssen sich in der gewählten Architektur und Bautechnik widerspiegeln. Letztlich bleibt es eine Frage der Priorisierung und der klaren Definition der Ziele.
Vielleicht findet man aber auch den Mut, mit nur zwei kleinen Prototypen (Glasüberdachung vs. Grünüberdachung) zu beginnen und die Wirkungen einige Jahre wissenschaftlich zu vergleichen, um zu einer optimalen Lösung zu gelangen. Wenn die Wirkungen überzeugen, kann schrittweise nachgerüstet werden. Eine dementsprechende Planung, die dieses phasenweise Adaptieren zulässt, ist dabei Voraussetzung.