Philipp Reisinger, Dipl.-Ing.

© Philipp Reisinger

Landschaftsplaner

Die Errichtung einer Markthalle schöpft das Potential der Fläche nicht aus. Dem BürgerInnenbeteiligungsprozess muss unbedingt die notwendige Beachtung zukommen, um die Expertise und die Wünsche der Bevölkerung abzuholen.

Interview

Ich würde Sie bitten sich kurz vorzustellen. 

Ich habe 2019 meinen Master zur Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur an der Universität für Bodenkultur abgeschlossen. Aktuell arbeite ich sowohl am Institut für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung sowie am Institut für Landschaftsplanung (beides BOKU) als wissenschaftlicher Projektmitarbeiter und bin darüber hinaus als Lektor tätig.

Ist die Markthalle eine klimafreundliche und moderne Lösung? / Wie schätzen Sie die Klimaverträglichkeit dieser Planung ein?

Die Stadt Wien bekennt sich in ihrem Fachkonzept Grün- und Freiraum zu qualitativ hochwertigen Grün-, Aufenthalts- und Bewegungsräumen. Gerade in der innerstädtischen Bestandsstadt ist das Schaffen einer solchen Vernetzung von zahlreichen Herausforderungen geprägt. In dicht bebauten, gründerzeitlichen Quartieren ist der Gestaltungsspielraum relativ beengt, verfügbare Freiflächen sind wertvoll und der Nutzungsdruck auf Freiräume groß. Ihre Ausstattung und die spätere bauliche Umsetzung wirken sich direkt auf die Lebensqualität der Anwohnerinnen und Anwohner auf. 

Die zentrale Lage des Naschmarkt-Parkplatzes birgt nicht nur enormes gestalterisches Potential – die Fläche liegt darüber hinaus in einer bedeutenden Frischluftschneise der Stadt. Gerade vor dem Hintergrund der kleinklimatischen Ist-Situation und der Anpassung an die Folgen des Klimawandels (Starkregenereignisse, Hitzeperioden, Urban Heat Islands etc.) lässt sich sagen, dass die Errichtung einer (begrünten) Markthalle das stadtklimatische Potential der Freifläche nicht ausschöpft. 

Wie sehen Sie die aktuellen Entwürfe einer Markthalle am Naschmarkt Parkplatz, aus Ihrer Fachperspektive?
Eine Markthalle würde maximal das vorhandene Angebot an Einkaufsmöglichkeiten und Gastronomie erweitern. Eine transparente Bedarfsanalyse im Vorfeld wurde nicht gemacht. Es ist nicht klar, ob die Erweiterung der Marktfläche überhaupt sinnvoll und gewünscht ist. Der zusätzliche Mehrwert für die umliegende Bevölkerung ist überschaubar, ist der Markt heute schon vermehrt eine Touristenattraktion. Die ursprüngliche Funktion als Markt wird – nicht zuletzt durch den steigenden Anteil an Gastro-Betrieben – in den Hintergrund gerückt. 

Neben der intransparenten oder fehlenden Bedarfsanalyse sind außerdem die Auswirkungen auf das stadtklimatische Gefüge nicht umfassend geklärt worden. Ein mehrere Meter hohes Konstrukt in Mitten einer bedeutenden Frischluftschneise kann negative Auswirkungen auf die gesamte Frischluftversorgung der Stadt haben.
Wie könnte eine andere Art der Nutzung und Gestaltung des Naschmarkt-Parkplatzes aussehen, welche die Lebensqualität der WienerInnen verbessert?

Dem BürgerInnenbeteiligungsprozess muss unbedingt die notwendige Beachtung zukommen, um die Expertise und die Wünsche der Bevölkerung abzuholen. Eine nutzungsoffene Gestaltung, die allen potentiellen Nutzungen Raum bietet und auf die Bedürfnisse der Anwohnerinnen und Anwohner eingeht, ist absolut zu begrüßen. Mit Hilfe einer qualitativ hochwertigen (begrünten) Ausstattung kann so ein konsumfreies, öffentlich zugängliches und modernes Pendant zum historischen Naschmarkt geschaffen und so einer zeitgemäßen Stadtentwicklung Rechnung getragen werden.  

Denken, Sie dass die Schaffung einer Markthalle den Naschmarkt stärken kann?

Man braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen, dass eine nutzungsoffene, konsumfreie und attraktive Freifläche mehr Strahlwirkung und Anziehungskraft entwickelt, als eine Markthalle und der damit verbundenen Erhöhung der Standl-Dichte. 

Kennen Sie aktuelle „good practice“ Beispiele, die hier als Vorbild für eine moderne und klimafreundliche Freiraumgestaltung dienen können?

Die intensive Nutzung von innerstädtischen Freiräumen wie dem Donaukanalufer oder dem Platz vor der Karlskirche/Resselpark zeigt die Notwendigkeit von ausgedehnten Aufenthaltsflächen ohne Konsumzwang. 

Wie stehen Sie als Wienerin zu dem aktuellen Entwurf?

Als Wiener wünsche ich mir, dass die Chance auf die qualitativ hochwertige Umgestaltung genutzt wird. Eine Markthalle entspricht weder den Bedürfnissen und Wünschen der lokalen Bevölkerung, noch wird der Anpassung an die Folgen des Klimawandels Rechnung getragen. Ich wünsche mir einen konsumfreien Freiraum für Jung und Alt der niemanden ausschließt und der das bestehende Freiraumnetz in Wien bestmöglich ergänzt bzw. unterstützt.