Peter Leeb, Dipl.-Ing.

© Peter Leeb

Architekt und Senior Scientist am Institut für Kunst und Architektur an der Akademie der Bildenden Künste

Wichtig bei jeder Umgestaltung ist es den Ort in seiner Gesamtheit zu verstehen und nichts auf ihn zu stülpen. Alles was in der Stadt verändert wird sollte aus kulturellen und geschichtlichen Zusammenhängen entwickelt werden.“

Interview

Ich würde Sie bitten sich kurz vorzustellen. 

Ich heiße Peter Leeb, ich bin praktizierender Architekt und Senior Scientist am Institut für Kunst und Architektur an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Zurzeit bin ich Obmann von FRISCH – Freiraum Initiative Schmelz, einer Initiative, die seit Jahren um die Vergrößerung von Freiraum auf der Schmelz kämpft.

Wie sehen Sie die aktuellen Entwürfe einer Markthalle am Naschmarkt Parkplatz, aus Ihrer Fachperspektive?

Zuerst muss man sich die Frage nach Funktion und Bedarf stellen. Wird eine Marktgalle benötigt? Eine solche Bedarfserhebung sehe ich nirgendwo. Die Vorstellung einer Markthalle ist dort fehl am Platz, zumal der Markt ja stadteinwärts besteht. Es gibt aber sehr wohl funktionierende Dinge wie zum Beispiel den Flohmarkt, der sicherlich durch Stützkonstruktionen beeinträchtigt würde. Hier mit Wetterschutz zu argumentieren ist zu wenig für die Dimension des Eingriffs. 

Die zweite Sache ist die ökonomische Dimension. Eine Planung dieser Größenordnung würde viel Geld kosten und es stellt sich die Frage, ob das Geld nicht anders besser und nachhaltiger angelegt wäre, sodass man länger etwas davon hätte. Da gibt es in Wien das warnende Beispiel des Pratersterns. Man möchte sicherlich nicht etwas errichten, das dann schon nach kurzer Zeit wieder beseitigt werden muss, weil es sich als Fehlschlag herausgestellt hat. 

Die dritte Perspektive, die sich hier ergibt, ist, dass meiner Meinung nach kein ausreichendes Verständnis für den Ort entwickelt wurde. Es gibt hier sicherlich viele Daten, aber diese sind nicht berücksichtigt worden. Beispielsweise ist der Landschaftsansatz von Lilli Lička nicht in Betracht gezogen worden. Es wirkt ein wenig so als ob man einen Ort für die Markthalle gesucht und sich überlegt hätte: Wenn man die Autos beseitigt, dann könne man sie hier bauen. Diese Vorgangsweise ist zu wenig und kulturell nicht angemessen. 

Ist die Markthalle eine klimafreundliche und moderne Lösung? / Wie schätzen Sie die Klimaverträglichkeit dieser Planung ein?

Wenn man Baumaßnahmen trifft, die niemand braucht, erklärt sich das von selbst. Dann wäre es besser nichts zu tun. Dass man Bauwerke, deren Klimafreundlichkeit in der Energieproduktion liegt, durchaus sinnvoll errichten kann, steht außer Frage. Aber ich bin mir nicht sicher, ob der Stadtraum der geeignete Ort für solche Kraftwerke ist. Wenn man ein Dach baut mit einer Photovoltaik-Anlage, dann dürfte das wohl kaum passend sein. Ich kenne genügend andere Dächer, die sich hierfür anbieten würden.

Andererseits, mit Blick auf die immer größer werdende Hitze: sieht man sich das Querschnittprofil dieses Platzes  mit den beiden Überwölbungen an, dann zeigt sich, dass es durchaus Bereiche mit Erdreich, also möglichem Wurzelraum, gibt Keine Frage, das Pflanzen größerer Bäume wäre grundsätzlich möglich. Die überwölbte Wien, die ja die meiste Zeit mehr Rinnsal als Fluss ist, bietet außerdem einen beeindruckenden Raum, der auch bei größter Hitze angenehm kühl bleibt: dieser Raum könnte, ja müsste für die Menschen zugänglich gemacht werden.

Zur Klimaverträglichkeit kommt noch ein weiterer Punkt, nämlich der des Bodenbelags. Es empfiehlt sich naturgemäß ein hellerer Bodenbelag, mir wäre hier allerdings Asphalt lieber anstatt der immer häufiger anzutreffenden Betonsteine, die nicht sehr gut altern und deren Muster meistens suburbane Gestaltungen zeigen. Asphalt bleicht immerhin aus, den Vertiefungen und Aufwölbungen sollte mehr kreative Aufmerksamkeit zukommen. Eine Wiese dort zu machen ist vielleicht ein schöner Traum, aber das schränkte die Benutzbarkeit des Platzes doch massiv ein. Deshalb ist eine Wiese eher nicht die richtige Lösung. 

Denken, Sie dass die Schaffung einer Markthalle den Naschmarkt stärken kann?

Beim Naschmarkt ist es so, dass der Zug leider abgefahren zu sein scheint. Ausufernde Gastronomie und die Anzahl der Stände sind ja vertraglich fixiert, das Verhältnis ist leider nicht günstig. Es ist sehr schwierig innerhalb unseres rechtlichen Gerüstes in bestehende Verträge einzugreifen. Es sollen absurd hohe Ablösen für Stände gezahlt werden und die Kapitalrendite habe ich über einen einfachen Marktverkäufer natürlich nicht in gleicher Weise wie über ein exklusives Fisch- Restaurant. 

Das ist ein Teil der Enttäuschung, dass wir dem Titel nach eine linke Stadtregierung haben, die solchen Entwicklungen nicht vehement genug entgegentritt. Ich halte es für zweifelhaft, dass man etwas explizit für Touristen machen möchte. Besser wäre es, das Lokale zu stärken, dann kommen die Leute automatisch, weil es interessant ist. Alles andere befördert das allgegenwärtige Gleiche, wie man es ja in den Einkaufsstraßen gut sehen kann. 

Ich teile auch die Befürchtung, dass bei einer Erweiterung des Marktes wiederum wirtschaftlich stärkere Positionen zum Zug kämen, die eine weitere Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes bewirken würden. Von der Stadtregierung erwarte ich mir jedenfalls, dass derartige Entwicklungen mit größter Weitsicht, also über Jahrzehnte geplant werden.

Wie könnte eine andere Art der Nutzung und Gestaltung des Naschmarkt-Parkplatzes aussehen, welche die Lebensqualität der WienerInnen verbessert?

Das muss sehr behutsam angegangen werden. Wenn man schon von Beschattungsstrukturen spricht, dann sollte man sich überlegen Elemente zu entwickeln, die mehr können. Das heißt es könnte am Rand zur Linken Wienzeile eine Art Pergola-Struktur geben, die eine gewisse Abschottung zum Verkehr bilden, aber auch Sonnen- und Regenschutz sein könnte. Ich sehe hier nur leichte Strukturen, nichts Großes oder Schweres. Ein Dach könnte in einer Höhe von vier bis maximal fünf Meter angeordnet werden. Es bestünde auch die Möglichkeit von begehbaren Galerien dort, aber eher als leichte, stegartige Konstruktion, die auch bewachsen wird. Jedenfalls müssen Strukturen geschaffen werden, die keinen schweren Eingriff in den Ort darstellen. Wichtig wäre es, die Qualität zu bewahren, dass ein großer Teil der Fläche frei bleibt, um die Bespielbarkeit nicht zu beeinträchtigen. Der Platz hat den Vorteil, dass er groß genug ist und genügend Ränder hat. An den Rändern kann man bestimmte Anforderungen erfüllen. Ein Ende, in Richtung Rüdigerhof, könnte als Park ausgestaltet werden. Dies sollte ein angenehmer, kleiner Park sein, der nicht mit einer Unzahl von Funktionen überfrachtet wird, ein Ort also, wo alle gerne hingehen. Ein Ziel sollte es sein möglichst wenige Barrieren aufzustellen. Denn jetzt schon hat der Platz in seiner Durchlässigkeit eine recht gute Qualität, sogar mit den Autos. Diese Eigenschaft sollte auf alle Fälle erhalten bleiben. Die Argumentation, dass man dort kaum etwas anderes als einen Park machen kann, halte ich für falsch. Wenn die Strukturen gründlich erhoben werden, ergeben sich viele Möglichkeiten und daraus ein Design. Dann ist diese Gestaltung nicht auf den Ort gestülpt, sondern entsteht aus diesem Ort heraus. Ich glaube nämlich nicht, dass ein Park ein Lösungsansatz für alles ist, obwohl die Argumentation bzw. der Wunsch nachvollziehbar ist . Man muss sich bewusst sein, welche Worte und Bezeichnungen man verwendet und welche Bilder diese erzeugen. „Park“ ist natürlich sehr positiv besetzt, das sagt man gern und jeder findet sich darin. Das heißt aber noch lange nicht, dass diese Typologie auch angemessen ist. Daher sollte man hier  vorsichtig sein. 

Kennen Sie aktuelle „good practice“ Beispiele, die hier als Vorbild für eine moderne und klimafreundliche Freiraumgestaltung dienen können?

Grundsätzlich sehe ich es so: es gibt immer interessante internationale Beispiele. Es kann aber nie ein anderes Beispiel als konkretes Vorbild übernommen werden. Allerdings kann der Zugang anderer Beispiele zu einem Ort verstanden, abgeleitet und als Inspiration verwendet werden.

Ich finde den Sechseläutenplatz in Zürich aufschlussreich. Er ist zentrumsnah und an den Rändern gibt es Bepflanzung, er ist sehr diszipliniert leer gehalten, um Möglichkeiten zu erhalten und neue zu eröffnen. Der Platz ist auch in seiner Materialität sehr schön und hat eine große optische Qualität.

Mir gefällt Les Arènes de Lutèce in Paris sehr gut. Da hat man den Raum des ehemaligen römischen Theaters ganz frei gemacht und so gelassen, dort ist jetzt ein entsiegeltes Feld. Die Geschichte bildet hier das räumliche Korsett, aber es hat sich eine ganz andere Nutzung ergeben.

Der MFO Park in Zürich ist ebenso bemerkenswert. Dieser so künstlich in die dritte Dimension entwickelte Park ist ebenso aus einer speziellen historischen Situation entstanden und hat exakt die Dimension einer Fabrikhalle dieses ehemaligen Gewerbe- und Industriegebiets. 

Das In-den-Raum-Setzen von Geschichte finde ich sehr interessant. Man erfindet mit dem, was man findet, es ist ein Arbeiten mit der Geschichte des Ortes als Entwurfssubstanz. 

Denkt man an Überplattungen, also städtische Überbauungen, so ist sicher der Jardin Atlantique in Paris Montparnasse ein beeindruckendes Beispiel.

Der gegenwärtige urbane Park hat die Aufgabe die Urbanität mit dem Pflanzlichen in Verbindung zu bringen. Deswegen habe ich Vorbehalte, wenn man sagt, man wolle eine Grünfläche, oder etwa einen sogenannten wilden Naturraum, wie es jetzt gerade modern ist. Man sollte wirklich mehr wollen. 

Wie stehen Sie als Wiener zu dem aktuellen Entwurf?

Ich denke, dass all diese Überlegungen, die angestellt werden müssen, um einen Stadtraum auf der Höhe der Zeit zu entwickeln, ernst genommen werden müssen. Wenn man beispielsweise ernstgemeinte Beteiligung machen möchte, wie etwa in Hamburg, dann ist das ein gewisser Aufwand und darf nie nur eine Ausrede sein, um sich politisch zu legitimieren. Man muss immer die ökonomischen Mittel bedenken und sich fragen, was man hiermit sinnvoll schaffen kann, da ja das Geld nur einmal ausgegeben werden kann. Das wünsche ich mir als Stadtbewohner, weil ich unheimlich gerne in dieser Stadt lebe, in der es so viele besondere Dinge gibt, angefangen von der Ringstraße, über den Heldenplatz, den Donaukanal, die Donauinsel, usw. Bei diesen Besonderheiten muss man nun nicht in Nostalgie versinken, sondern sollte sich überlegen was man heute in angemessener Weise machen könnte. Es ist Zeit für mutige Projekte und im vorliegenden Fall wäre es mutig weniger zu machen. Hier verwirklicht man nicht das großartige Ding für die tolle Eröffnung, sondern dieser Ort verlangt etwas, dessen Wirkung länger hält und das sich noch weiterentwickeln kann.