Mag.a Angelina Pötschner

© Bettina Neubauer-Pregl

Kunsthistorikerin

„Insgesamt weisen die Häuser an der Wienzeile eine hohe Qualität der Einzelobjekte auf – durch den fast lückenlosen Erhaltungszustand haben wir hier eines der besten Beispiele der großstädtischen Verbauung Wiens um 1900. Die Vorstellung, dass der freie Blick auf diese Häuser verbaut wird, ist für mich unerträglich.“

Interview

Ich würde Sie bitten sich kurz vorzustellen und Ihre Beziehung zum Naschmarkt zu beschreiben.

Ich wohne seit Geburt, also seit mehr als 50 Jahren, hier am Naschmarkt und habe kein Bedürfnis umzuziehen, da ich diesen weiten Freiraum, den größten freien Platz innerhalb des Gürtels, sehr schätze. Auf dem Naschmarkt habe ich das Gefühl, frei durchatmen zu können – der große weite Raum gibt mir das Gefühl, in einer Weltstadt zu leben, zumal die umgebenden Häuser ein Ensemble von hoher architektonischer Qualität bilden – seien es die Wohnhäuser von Otto Wagner, die Stadtbahnstation Kettenbrückengasse oder der wie eine Festung wirkende Versicherungsbau der beiden Brüder Gessner. Hubert Gessner sollte in der 1. Republik maßgeblich an der baulichen Gestaltung des „Roten Wien“ beteiligt sein. Insgesamt weisen die Häuser an der Wienzeile eine hohe Qualität der Einzelobjekte auf – durch den fast lückenlosen Erhaltungszustand haben wir hier eines der besten Beispiele der großstädtischen Verbauung Wiens um 1900.

 Das zeigt auch der Wiener Schutzzonenatlas von 1981 auf, der die Häuser Linke Wienzeile 36 (Palais Leon Wernburg) bis Magdalenenstraße 1 (ein „städtebaulich exponierter Zwickelbau“ – laut Dehio) sowie Rechte Wienzeile 33 (Auftraggeberin Helena von Balthazar) bis Hamburgerstraße 20 (Rüdigerhof) nahezu lückenlos als schutzwürdiges Ensemble bewertet. Die Vorstellung, dass der freie Blick auf diese Häuser verbaut wird, ist für mich unerträglich.

Was halten Sie von der Idee einer Markthalle am Naschmarkt Parkplatz?

Ich sehe die geplante „offene Markthalle“ sehr kritisch – die Stadt Wien hatte ihre Chance mit dem Thema „Markthalle“ bereits. Im „Technischen Führer durch Wien“ sind im Jahr 1912 neun (!) Markthallen aufgelistet: drei große in Wien-Mitte und sechs kleinere in der Zedlitzgasse, in der Stadiongasse, am Phorusplatz, in der Esterhazygasse, in der Burggasse/Neustiftgasse und in der Nußdorferstraße. Letztere existiert noch, wurde jedoch von der Stadt Wien an Spar abgegeben; die übrigen wurden abgerissen. Am Gebiet des heutigen Flohmarkts bis auf die Höhe Joanelligasse fanden sich bis Anfang der 1970er Jahre die typischen klein dimensionierten, harmonisch ins Stadtbild eingefügten Naschmarktpavillons. Ein Relikt dieser einstigen Verbauung ist die unter Denkmalschutz stehende Würstelhütte auf der Höhe Joanelligasse. Ab Linke Wienzeile 58 war der Platz bis zum Plecnik-Haus in der Steggasse unverbaut – hier stand lediglich eine Uhr, die heute vom Wien Museum bewahrt wird. An dieser Stelle befand sich der Großgrünmarkt bis er nach Inzersdorf gezogen ist. Als Kind war ich noch mit meiner Mutter hier und habe ihren lautstarken Verhandlungen mit den Marktfahrern gelauscht. Dieser vitale Lärm, verursacht durch eine Vielzahl von Menschen, umgeben von den noblen Fassaden der Jahrhundertwende sind fest in meiner Erinnerung verankert. Ich glaube nicht, dass eine Überdachung in der Art eines Busbahnhofs oder einer Tankstelle diese Atmosphäre wieder herbeizaubern kann. Ich glaube, dass eine Überdachung diesen derzeit großzügig angelegten Platz, der einer Metropole würdig ist, dauerhaft verschandeln wird: Es handelt sich nämlich um einen weiten Platz wie er innerstädtisch kaum zu finden ist – außer am Heldenplatz, wo wir gerade erleben können, wie ein Platz durch die Aufstellung von würfelartigen Regierungskisten in seinem Erscheinungsbild massiv beeinträchtigt wird. Ich glaube auch nicht, dass sich eine architektonisch befriedigende Lösung finden würde – die Vergleiche, die von der Stadt Wien bemüht werden, sind sämtlich historische Eisen-Glaskonstruktionen von hoher architektonischer Eleganz und technischer Raffinesse wie sie in der heutigen von Normen und Richtlinien geplagten Architektur kaum noch möglich sind. 

Was wäre Ihnen bei einer Umgestaltung des Platzes wichtig?

Was wir während Corona gelernt haben, ist die Wertschätzung des Freiraumes, der womöglich noch Grün und Sitzmöglichkeiten bietet. Es war wirklich grausam, als während des 1. Lockdowns im März 2020 die Bundesgärten geschlossen wurden. Die Möglichkeiten des Auslaufs wurden dadurch bescheiden: Zu dieser Zeit wäre es natürlich schön gewesen am Naschmarktparkplatz unter freiem Himmel auf einer Bank zwischen Bäumen zu sitzen – meinetwegen auch zwischen Bäumen in Kisten wie sie etwa am Wiener Graben zu finden sind, wenn es nicht anders möglich ist! Bänke wären wichtig: Ich denke, die vielen Touristen, die wie eine Karawane von der Otto-Wagner-Station Pilgramgasse, zum Rüdigerhof, dem Plecnik-Haus, vorbei am Versicherungsgebäude zum Majolikahaus und zum Ruferinnenhaus ziehen, wären dankbar, wenn sie sich sitzenderweise an diesen Ikonen der Architektur erfreuen könnten. Wir sollten diese einmalige Chance nützen, diesen Freiraum grün und zwar wirklich grün, nicht nur als Alibibehübschung für eine Konsumarchitektur zu gestalten.

Was soll verändert werden und was soll erhalten bleiben?

Trotz Begrünung sollte es möglich sein, den Flohmarkt, der so gut zu der umgebenden Bebauung passt, zu integrieren.