Jürgen Furchtlehner, Dipl.-Ing

© Jürgen Furchtlehner

Landschaftsarchitekt

„Die Defizite des Ortes sind bekannt: Fehlende Grünraumversorgung, hoher Versiegelungsgrad und entsprechende Hitzeentwicklung. Darauf sollte bei einer Umgestaltung bestmöglich reagiert werden. Eine Markthalle wird diese Probleme kaum entschärfen.“

Interview

Ich würde Sie bitten sich kurz vorzustellen.

Ich habe Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung in Wien und Kopenhagen studiert und bin seit 2013 an der Universität für Bodenkultur am Institut für Landschaftsarchitektur in Forschung und Lehre tätig. Aktuelle Themen der Stadtplanung sowie Nutzungsmöglichkeiten und Gestaltung des öffentlichen Raums prägen meine Arbeit.

Wie sehen Sie die aktuellen Entwürfe einer Markthalle am Naschmarkt Parkplatz, aus Ihrer Fachperspektive? Ist die Markthalle eine klimafreundliche und moderne Lösung? / Wie schätzen Sie die Klimaverträglichkeit dieser Planung ein?

Ein Attraktor wie eine Markthalle hat das Potential, neue architektonische Akzente zu setzen und kann an strategischer Position der Belebung und Versorgung dienen – Umstände, die im hochfrequentierten Naschmarktbereich allerdings nicht ausschlaggebend sind. Die Schaffung eines weiteren Grätzelzentrums, das mit einer konsumorientierten Markthalle vorgesehen ist, ist an dieser Stelle nicht nachvollziehbar.

Vermutlich wird durch eine Markthalle zusätzliches Publikum angezogen und es kommt dadurch zu einer weiteren Übernutzung des knappen Freiraums. Sprich, der begrenzt zur Verfügung stehende Raum kann nicht als Grün- und Erholungsraum Verbesserung bringen, sondern wird den Anwohner*innen langfristig entzogen.
Erste Visualisierungen der Markthalle suggerieren bereits eine detaillierte Vorstellung ohne Wettbewerb abgehalten zu haben und zeigen eine nüchterne Glas-Stahl-Konstruktion mit kosmetischer Begrünung. Sowohl Ortsbezug als auch eine Berücksichtigung des bestehenden Naschmarkt-Ensembles sind schwer zu erkennen.

Wie kann man den Naschmarkt stärken? Wie kann die Lebensqualität der WienerInnen durch eine Umgestaltung verbessert und welche NutzerInnengruppen ist bei der Umgestaltung am meisten zu achten?

Aus meiner Perspektive bedarf es vor allem öffentlichen und einfach zugänglichen Grünraum rund um den Naschmarkt. Die angrenzenden Bezirke Wieden, Margareten und Mariahilf gehören zu den dichtest besiedelten in Wien mit einem geringen Grünflächenanteil. Der Naschmarkt ist daher im städtischen Kontext zu planen und kann nicht isoliert betrachtet werden. 

Der derzeitige Parkplatz kann soweit rückgebaut und gestaltet werden, dass die Fläche für möglichst alle benutzbar wird und als angenehmer Erholungs- und Aufenthaltsraum im Freien für die Anwohner*innen zur Verfügung steht. Eine Umgestaltung bietet die einzigartige Chance, einen großflächigen urbanen Park für die drei Bezirke zu schaffen, nicht zuletzt zur Verbesserung der klimatischen Bedingungen der Umgebung. 

Zugleich kann der vorhandene Naschmarkt gestärkt und für Besucher*innen attraktiver werden, indem ein Grünraum neben dem Marktareal kostenlose Aufenthaltsbereiche unter Bäumen bietet – als Gegenpart zum hektischen Markttreiben und den versiegelten Verkehrsflächen. 

Eine multifunktionale Nutzung eines Teilbereiches der Parkplatz-Fläche, beispielsweise für eine Weiterführung des Flohmarktes o.ä. ist vorstellbar und kein Wiederspruch, sofern gestalterisch integriert, begrünt und großflächig entsiegelt. Eine Integration von Ladezonen ist im Gesamtkonzept zu klären.

Wie stehen Sie als Wiener zu einer Umgestaltung?

Als Wiener und regelmäßiger Besucher der drei benachbarten Bezirke und des Naschmarkts wünsche ich mir vor allem, dass die Freiraum-Defizite des Stadtteils ernst genommen werden und darauf planerisch reagiert wird. Dazu zählen fehlende Aufenthaltsräume ohne konsumieren zu müssen sowie natürliche Beschattung und Kühlung durch großkronige Bäume und entsiegelte Flächen.