Irmtraud Voglmayr, Dr.in

© Irmtraud Voglmayr

Soziologin und Medienwissenschaftlerin

Ich verstehe nicht, bei all dem was wir täglich über Klimakrise, Verbrauch von Bodenressourcen und  zunehmender Urbanisierung hören, wie es möglich ist, dass man so eine Chance vergibt. Jede Gelegenheit, die sich bietet, muss wahrgenommen werden, um eine zukunftsfähige Stadtentwicklung zu forcieren.

Interview

Ich würde Sie bitten sich kurz vorzustellen.

Ich heiße Irmtraud Voglmayr, bin Soziologin und Medienwissenschaftlerin und Lektorin an der Universität Wien, TU Wien sowie BOKU Wien.  Einer meiner Arbeitsschwerpunkte ist die Stadt- und Raumforschung. 

Wie sehen Sie die aktuellen Entwürfe einer Markthalle am Naschmarkt-Parkplatz, aus Ihrer Fachperspektive?

Ich stehe einer Markthalle ablehnend gegenüber. Ich finde, dass die Umgestaltung des Naschmarkt-Parkplatzes in einen größeren Kontext gestellt werden muss. Es geht für mich nicht um ein singuläres Projekt sondern um grundsätzlichere Fragen wie: In welcher Gesellschaft und konkret, in welcher Stadt, wollen wir leben? Themen die wir in diesem Kontext zusammen denken müssen sind Klimawandel, Pandemie und soziale Ungleichheit. D. h. ein Perspektivenwechsel ist längst überfällig und damit meine ich vor allem ein Infrage stellen unseres westlichen Lebensstils verbunden mit einer Kapitalismuskritik, um einen Umbau der Stadt in Richtung Nachhaltigkeit voranzutreiben.  

Auf dieser attraktiven Fläche soll nun den Autos der Boden entzogen werden, das ist eine großartige Chance einen grünen, konsumfreien Raum zu gestalten, einen Bewegungs-, Begegnungs- und Kommunikationsraum mitten in der Stadt, was für eine einmalige Gelegenheit! Immer heißt es Klimawandel, Verstädterung  und soziale Ungleichheit seien so große, abstrakte Themen, aber hier bietet sich die Möglichkeit einen konkreten Schritt in Richtung Nachhaltigkeit zu setzen und etwas für die Bewohner_innen dieser Stadt zu tun. Wenn man diese Chance einer Umgestaltung erkennt, kann man nicht verstehen warum hier eine weitere Konsumzone geschaffen werden soll, wo doch die Folgen der Klimakrise schon längst in den Städten zu spüren sind.

Denken Sie, dass eine Markthalle den Naschmarkt stärken kann oder gibt es andere Möglichkeiten dieses Ziel zu erfüllen?

Den Naschmarkt kann man am besten dort stärken, wo er sich aktuell befindet. Das Konzept der Markthalle ist ja unter anderem, so wie ich es verstanden habe, lokale Anbieter_innen herein zu holen und lokalen Produkten Raum zu bieten. Genau das sollte auf dem aktuell bestehenden Markt passieren. Ich denke, dass so ein Konzept auch bei den umliegenden Bewohner_innen gut ankommen würde. Denn es gibt am Naschmarkt zu viel des Gleichen und generell zu viel. Heute ist der Boden in der Stadt knapp, daher sehr teuer und er unterliegt einem enormen Verwertungsdruck. Wenn man einen Rückblick in die 1970er Jahre macht, dann kann man auch die Entwicklung des Naschmarktes gut nachvollziehen. Damals waren es vor allem kleine Familienbetriebe und sie konnten es sich leisten, mehrere Stände zu mieten und dabei den ein oder anderen sogar geschlossen zu halten, weil die Mieten so billig waren. Wer sind heute die Akteur_innen, die ein Interesse an einer neuen Markthalle haben, die gleichen die bereits den bestehenden Naschmarkt beherrschen?  Das sind Fragen, die gestellt werden müssen, wenn man den Naschmarkt stärken will und lokale Produzent_innen im Fokus hat. 

Wie kann das Klima am Naschmarkt-Parkplatz verbessert werden?

Kühlen kann vor allem Grün, Bäume und Wasser. Dazu gibt es viele Ideen von Landschaftsplaner_innen und –architekt_innen, wie man mit Grundelementen  dieser Hitzeinsel begegnen kann. Darüber hinaus wäre es auch denkbar, einen Nachbarschafts- oder Gemeinschaftsgarten anzulegen, nach dem Motto: Gartln verbindet. 

Im Zuge der Verstädterung macht es einfach Sinn, möglichst autofreie Räume zu schaffen, denn je mehr Straßen und Parkplätze desto mehr Autos in der Stadt. Und wir sollten hier von keinem großen Verlust sprechen, denn der eigentliche Verlust, und das ist der Perspektivenwechsel, den wir vornehmen müssen, ist der Verlust einer gesunden Stadt. 

Welche Aspekte sind Ihnen bei der Umgestaltung wichtig?

Hier greife ich schon vor, aber für mich ist bei der Forderung nach Grün- und Freiräumen eine intersektionale Herangehensweise mit zu denken,  d.h. dass sich Menschen aufgrund von Geschlecht, Klasse, ethnischer Herkunft, Alter und anderen Kategorien, die miteinander verwoben sind, Räume unterschiedlich aneignen bzw. unterschiedliche Raumvorstellungen haben. Das bedeutet, es müssen Räume entstehen, in denen Differenz gelebt werden kann. Wir  haben in einer alternden Gesellschaft immer mehr ältere Menschen, die sich mit dem Rollator im öffentlichen Raum bewegen. Und wenn auch in Wien der Bevölkerungsdurchschnitt immer jünger wird, sind es genau die jungen Menschen, für die öffentliche Räume die Lebensqualität einer Stadt ausmachen. Auf diese Faktoren – und das hat uns die Pandemie vor Augen geführt – muss bei der Planung moderner Grün-, Frei- und Kommunikationsräume Rücksicht genommen werden. Es gilt weiters soziale Ungleichheit zu bedenken, weil die Belastung durch Hitze auch ungleich verteilt ist. Es gibt inzwischen einige sehr heiße Monate und nicht jeder hat einen Zweitwohnsitz auf dem Land. Die meisten von uns sind arbeitsbedingt an die Stadt gebunden, also muss man es erträglich machen in der Hitze der Stadt zu leben und hier brauchen wir Grünräume. Nicht aus dem Planungsblick geraten darf auch die Frage nach den Überwachungs- und Kontrolltechniken. Stichwort: Videoüberwachte Stadt. Das betrifft vor allem Regeln, Verbote und das städtische Mobiliar. 

Wie kann mit dem Flohmarkt am Naschmarkt-Parkplatz bei einer Umgestaltung umgegangen werden?

Der Flohmarkt hat eine lange Tradition und stellt einen schönen Kontrast zur digitalen Welt dar, wo man, wie beim Naschmarkt Dinge angreifen, riechen, schmecken und fühlen kann. Der Flohmarkt fördert eine soziale Durchmischung, da kommen Welten zusammen und fließen Gespräche ineinander, wie man das sonst nicht oft erlebt. Ich habe auch mit einigen Standler_innen über eine Markthalle gesprochen. Manche stehen diesem Gedanken positiv gegenüber, weil sie Schutz vor Hitze und Regen bietet, andere lehnen sie strikt ab. Sie beklagen sich vor allem über die veränderten Geschäftszeiten und die hohen Standgebühren. Generell sind leider eine Ausdünnung und ein sukzessiver Abbau des Flohmarktes zu beobachten und dem gilt es massiv dagegen zu halten.

Wie kann man den Prozess einer gelungenen Umgestaltung fördern?

Alle Akteur_innen, die sich bisher eingebracht haben, sollen in die Umgestaltung einbezogen werden. Es fehlt aktuell an Informationen und Wissen, hier braucht es mehr Transparenz seitens der Entscheidungsträger_innen, eine konstruktive  Auseinandersetzung, vor allem aber einen Perspektivenwechsel.   

Ich verstehe nicht, bei all dem was wir täglich über Klimakrise, Verbrauch von Bodenressourcen, zunehmender Urbanisierung usw. hören, wie es möglich ist, dass man so eine Chance auf einen Freiraum mitten in der Stadt vergibt. 

Wie kann man die Lebensqualität am Naschmarkt-Parkplatz durch eine Umgestaltung verbessern?

Ich denke, man sollte einen Begegnungs- und Verweilraum für alle schaffen, die dort leben, aber auch für Menschen, die den Markt besuchen. Ausgestattet mit Bäumen, Pflanzen, kommunikationsfördernden Sitzanordnungen und Wasserspielen, das ist ja bereits eine Realutopie, kann hier noch viel weiter gesponnen werden. Künstler_innen könnten hier durchaus einen kreativen Beitrag zur Umgestaltung liefern. 

Bitte erzählen Sie uns noch von Ihrem aktuellen Projekt am Naschmarkt-Parkplatz?

Ich habe im Sommersemester, gemeinsam mit der bildenden Künstlerin Michaela Rotsch, das Seminar „Sozialer Raum und Diversität: Kunstbasierte Raumforschung“ am Institut für Raumplanung an der TU Wien abgehalten. Wir wollten uns in dieser Lehrveranstaltung künstlerisch mit der Markthalle auseinandersetzen und so haben die Studierenden  mit der Aktion MARKT, (AUS)TAUSCH, TESTSTATION begonnen, das Marktgebiet mit dem mobilen „Glasstandl“ syntopisch zu untersuchen. Wir haben den Renderings einer Markthalle keinen Grünraum, sondern eine alternative Markthalle entgegengesetzt, in der aber nicht der Konsum, sondern der Tausch im Vordergrund steht.  

Seit 2013 untersuchen wir verschiedene Orte im Wiener Stadtraum in interdisziplinären Aktionen. Dabei setzen wir das Syntopie-Konzept von Michaela Rotsch ein, dessen zentrales Forschungswerkzeug ein mobiler Glasraum, der sogenannte SYNTOPIAN VAGABOND ist. (Information: www.syntopianvagabond.net).