Christoph Reinprecht, ao. Univ.-Prof. Mag. Dr.

© Universität Wien

Soziologe

„Viele große Städte wie Chicago, New York oder Paris investieren in Grünräume in innerstädtischen Wohngebieten. Diese Grünräume brachten Qualitäten wie Erholung, Luftverbesserung, Lärmdammung, Abkühlung. Das brauchen wie auch hier, nicht aber eine vermeintlich schicke Halle.“

Interview

Ich würde Sie bitten sich kurz vorzustellen.

Ich heiße Christoph Reinprecht und lehre und forsche Soziologie an der Universität Wien. Ich befasse mich mit Fragen der Stadt und des städtischen Lebens, mit Wohnen, Nachbarschaft, dem Wandel des Stadtraums, etwa der Umgestaltung ehemaliger Brachräume wie die Seestadt Aspern. Andere Themen, zu denen ich forsche sind Migration und soziale Ungleichheit.

Ich lebe schon sehr lange, mit gewissen Unterbrechungen, in Wien. Der Naschmarkt war über viele Jahre ein fester Bezugspunkt, lange Zeit nutzte ich ihn zumeist gemeinsam mit meiner Tochter für unseren wöchentlichen Einkauf. Er war für uns ein Ort, an dem wir alles fanden, was wir brauchten, nicht nur exotische Nahrungsmittel, ein Ort der Nahversorgung. Heute gehe ich nur selten auf den Naschmarkt, er ist als Markt unattraktiv geworden.

Wie sehen Sie die aktuellen Entwürfe einer Markthalle am Naschmarkt Parkplatz, aus Ihrer Fachperspektive?

Eine Markthalle ist im Prinzip etwas Großartiges. Man muss jedoch überlegen, wo sie steht und welche Funktion sie erfüllen soll. In diesem Zusammenhang muss man feststellen, dass von wenigen Ausnahmen abgesehen, wie dem Brunnenmarkt oder dem Hannovermarkt, Märkte in Wien ihre Funktion als niederschwellige Einrichtungen der Nahversorgung weitgehend verloren haben. In Wien sind Märkte Lebensstilorte geworden, hochpreisig, milieuspezifisch und für die Masse der Bevölkerung unzugänglich. Der Naschmarkt ist ein Paradebeispiel für diese Transformation. Er hat seine Markthaftigkeit verloren. Deswegen ist die Frage: Wenn man an einen Markt eine Markthalle koppelt, welcher Markt kommt dafür in Frage? Der Naschmarkt ist es nicht. Wenn man sich diese Frage allein aus der Marktlogik (noch ohne auf die Frage des öffentlichen Raums einzugehen) ansieht, dann entsteht dort in dieser sogenannten Markthalle überhaupt kein Markt, sondern eine Fortsetzung dessen, was der Naschmarkt heute repräsentiert und das ist schrecklich.

Man muss sich fragen: Wen würde die Markthalle überhaupt versorgen? Die alte Fleischhalle bei der Landstraße hatte ein spezielles Angebot, ähnliches galt früher auch für den Naschmarkt. Aber seitdem er der Gastronomie und Touristifizierung geopfert wurde, wird er von vielen, vor allem auch den zugewanderten Menschen, die ihn aufsuchten, weil sie dort spezielle Lebensmittel oder spezielle Gewürze fanden, nicht mehr genutzt.

Der Nutzen eines Marktes und einer Markthalle besteht darin, Infrastruktur für die breite Bevölkerung zu sein. Dass Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten zusammenkommen, macht einen Markt zu einem urbanen Raum. Das gilt in positiver Weise auch für den Flohmarkt, wo man von billigster Ware bis zu exquisiten Angeboten alles findet.

In Ländern, in denen Märkte im Alltagslesen verankert sind, wie in Frankreich, zeichnen sich Märkte dadurch aus, dass sie sozial durchmischt sind. Alle gehen auf den Markt einkaufen. Dort entsteht Urbanität. Am Naschmarkt entsteht das nicht. Die sogenannte Markthalle wäre ein weiteres Beispiel einer Planung von oben, wo Urbanität geradezu verhindert und ein Konzept durchgesetzt wird, das mit der Funktion eines Marktes überhaupt nichts zu tun hat.

Abgesehen davon, geht es auch um die Gestaltung von öffentlichem Raum und Freiräumen. Gerade während Corona hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, Freiräume zu haben. Aber auch abgesehen von Corona müsste jede neue Gestaltung darauf achten, den Freiraum zu vergrößern statt Flächen zu verbauen und sei es durch eine komische Dachkonstruktion.

Wie kann man den Naschmarkt stärken?

Den Naschmarkt kann man nur stärken, indem die Funktionen des Marktes gestärkt werden. Das spricht auch gegen diese Halle, denn diese berücksichtigt basale Funktionen eines Marktes nicht, sondern baut nur das, wohin sich der Markt jetzt entwickelt hat, weiter aus. Der Markt kann gestärkt werden, indem man Anreize schafft für Standler, nicht für Gastronomie. Aber das ist meines Erachtens längst gekippt und nicht mehr veränderbar. Ich sehe nicht, wie man die Zahl der Lebensmittelversorger wieder hineinbringt. Ansetzen könnte man am Grün- bzw. Bauernmarkt. Diesen könnte man vergrößern, es besteht große Nachfrage an regionalen, saisonalen, auch Bio-Produkten, und es gibt sicherlich viele Anbieter, die gern dort verkaufen würden.

Wenn man am derzeitigen Naschmarkt-Parkplatz auf Autos verzichtet, könnte ein neuer Grünraum geschaffen werden, in dem auch der Flohmarkt und Bauernmarkt untergebracht werden. So kann man beides vereinen und der Markt in seiner Markthaftigkeit gestärkt werden. Der Flohmarkt muss unbedingt bewahrt werden. Es ist ein internationaler Trend, dass Flohmärkte aus der Stadt gedrängt werden. Der Flohmarkt ist eine Institution und durch seine Niederschwelligkeit ist er ein wirklicher Markt.

Wie kann die Lebensqualität der WienerInnen durch eine Umgestaltung verbessert werden und auf welche NutzerInnengruppen ist bei der Umgestaltung am meisten zu achten?

Bei der Neugestaltung des Naschmarkt-Parkplatzes ist darauf zu achten, dass nicht wirtschaftliche Funktionen dominieren, weil es bereits zu viele Räume in Wien gibt, die davon betroffen sind. Dass im Stadtentwicklungsplan das Wiental im Fokus steht, sehe ich als Chance, Umgestaltungen wie die der Wientalterasse zeigen, wie wichtig die Schaffung von öffentlich und frei zugänglichen Orten ist. Wenn also überhaupt eine Transformation stattfinden soll, dann sollte man einen Park daraus machen, zumindest die Fläche begrünen. Was die Gestaltung betrifft, so bin ich davon überzeugt, dass sich die Qualität einer Freifläche aus ihrer multifunktionalen Nutzbarkeit ergibt sowie aus einer Nutzbarkeit für verschiedene Gruppen. Wichtig wären Ausstattungen der Parklandschaft, die zugänglich sind und sich bewährt haben, wie Bänke, Trinkwasser, Toiletten ohne Zahlungszwang, Bäume, Sträucher, sonst braucht es hier nicht viel. Indem der Park auf solche Grundbedürfnisse reagiert, kann der Ort aus der Marktgeschichte und -funktionalität etwas mitnehmen. Es könnte ein wunderschöner Ort sein. Die geplante Überdachung wäre eine Katastrophe, das muss man verhindern.

Wie stehen Sie zu dem Argument, dass eine Markthalle das Stadtklima verbessern soll?

Ich denke, wenn man einen Park schafft, dann ist dies eine perfekte Antwort auf die Klimakrise. Wir sind hier in einer sehr dicht verbauten Stadtlandschaft. Sprühstraßen sind schön und gut, aber was solche Stadtgebiete wirklich brauchen, sind neue, größere Parkflächen, auch als Antwort auf den Klimawandel und die Stadthitze. Parks sind beschattet, haben Brunnen, Wasser, das Wiental ist auch ein Wassertal. Ein Park ist ein Ort der Erfrischung, ermöglicht mir, mich auszuruhen, ohne Konsumzwang. Die Begrünung trägt nachweislich zur Abkühlung bei. Für die Photovoltaikanlagen, die auf der Überdachung geplant sind, gibt es viele attraktive Alternativen wie die Dachlandschaften, warum nicht den Stephansdom dafür nutzen?

Wie stehen Sie als Wiener zu einer Umgestaltung?

Der Flohmarkt muss bleiben und der Naschmarkt als Versorgungsmarkt muss wiederbelebt werden, was nur über die Stärkung des Grün- und Bauernmarktes geht. Auf dem Naschmarkt-Parkplatz könnte ich mir einen großzügigen Grünraum gut vorstellen, und zwar als Teil einer Park- oder Gartenlandschaft, die sich über das gesamte Wiental erstreckt. Das fände ich persönlich sehr attraktiv, würde auch in die städtebauliche, architektonische Umrahmung sehr gut passen, und wäre identitätsstiftend. Wichtig ist, kommerzielle Nutzungen und neue Gastronomie zu verhindern. Das Hauptargument ist die Notwendigkeit eines grünen Ortes. Viele große Städte wie Chicago, New York oder Paris investieren in Grünräume in innerstädtischen Wohngebieten. Diese Grünräume brachten Qualitäten wie Erholung, Luftverbesserung, Lärmdammung, Abkühlung. Das brauchen wir auch hier, nicht aber eine vermeintlich schicke Halle.