Angelika Psenner, Assoc.Prof.in DI.in Dr.in.Habil.

© Bene Croy & FoB Städtebau TU Wien

Professorin für Stadtstrukturforschung, Forschungsbereich Städtebau, TU Wien

„Bevor wir uns Gedanken über die Architektur der Markthalle am Naschmarkt machen, müssen wir die zugrundliegende Aufgabenstellung überdenken. Was braucht die Stadt? Was braucht der Ort?“

Text-Beitrag

Um die Architektur, die das Projekt Markthalle Naschmarkt fasst, begutachten zu können, ist es notwendig sich den dazu gesetzten Perimeter anzusehen. Und zwar nicht nur den städtebaulich-konzeptionellen Perimeter, sondern in diesem Fall auch den prozessualen Ablauf.
Der architektonische Entwurf ist – per se – ein kreativer Lösungsvorschlag für eine bestimmte, zuvor festgesetzte Aufgabenstellung. In Bezug auf das Projekt Markthalle Naschmarkt ergeben sich folglich zwei Fragen, die es in der bzw. vor Begutachtung der Architektur zu beantworten gilt: Welche Aufgabe gilt es hier zu lösen? Und wer stellt sie?

Aus stadtstruktureller Perspektive – und das ist die einzig zeitgemäße, weil grundsätzlich nachhaltige Sichtweise – wissen wir seit langem was der Ort braucht. Nachdem die angrenzenden Bezirke außerordentlich dicht bebaut sind, also über wenig Grün- und Freiraum verfügen, und in Folge der Klimakrise große Probleme mit Überhitzung zeigen, liegt es auf der Hand, dass es hier in erster Linie darum gehen muß, bestehende Freiräume zu erhalten und für die Anrainer*innen zugänglich und nutzbar zu machen. Das heißt auch sie zu entsiegeln und zu begrünen, da dies erwiesenermaßen die effizientesten Maßnahmen gegen Heat-Island-Effekte darstellen. Dass der Rückbau von Stellplätzen im öffentlichen Raum und die gerechte Bepreisung von privater Nutzung und Aneignung von städtischen, gemeinnützigen Flächen durch das Abstellen von Autos – also Kostenwahrheit in Bezug auf den motorisierten Individualverkehr – eine unumgängliche und höchst dringende Aufgabe darstellt, ist in der Fachwelt ebenso hinlänglich bekannt und wird in anderen Städten auch längst mit großem Nachdruck vollzogen.
Zusätzlich wissen wir um die Relevanz des Wientales in Bezug auf die Luftversorgung der Gesamtstadt: das Areal liegt in einer übergeordneten Frischluftschneise, welche die Stadt u.a. auch mit nächtlicher Kaltluft aus dem Wienerwald versorgt und so einer sommerlichen Überhitzung entgegenwirkt. Um die hochsensiblen Ventilationsströme nicht zu behindern sind hier sperrige Bebauungen tunlichst zu unterlassen.

Darüber hinaus stellt der Ort seit über hundert Jahren den – ausschließlich an Wochenenden bespielten – Platz für einen Bauern- und Flohmarkt. Wie solche temporären Marktnutzungen sinnvoll zu gestalten sind, lässt sich an unzähligen internationalen best-practice-Beispielen studieren. Sie alle sehen Bodenmarkierungen vor, die einen logistisch unkomplizierten Ablauf fördern und stellen die technische Voraussetzung für den schnellen Aufbau der Marktstände bereit: im Boden eingelassene Schuh- und Steckvorrichtungen welche das Gerüst der Stände aufnehmen und bei Nicht-Nutzung mittels einfacher Abdeckungen verschlossen werden.

Wenn also die mittels architektonisch-städtebaulichem Entwurf zu lösenden Aufgaben aus stadtstruktureller Sicht gestellt werden, ergeben sich neben der angestrebten temporären Marktnutzung folgende Aufgabenstellungen: eine Entsiegelung der Oberfläche, eine, das Mikroklima begünstigende Bepflanzung, eine das städtische Mesoklima nicht nachteilig beeinflussende Bebauung und eine für die Anrainer*innen sinnvolle, alle sozialen Schichten, Mehr- und Minderheiten inkludierende Zugänglichkeit.

Die Antwort, ob der vorliegende Entwurf dies nun leistet, überlasse ich abschließend den geschätzten, mittels obiger, in aller Kürze erfolgter Situationsanalyse aufgeklärten Leser*innen.