Andreas Novy, Ao. Univ. Prof. Doz. Dr.

© Andreas Novy

Sozioökonom, Leiter des Institute for Multi-Level Governance and Development (MLGD) und außerordentlicher Universitätsprofessor am Department Sozioökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien, Präsident der Internationalen Karl Polanyi Society (IKPS) und Mitglied des Foundational Economy Collective.

„Ich glaube es geht um die Wiederaneignung der öffentlichen Räume für die Nahversorgungsqualität in einem umfassenden Sinn. In diesem geht die Nahversorgung über das Kaufen von Gemüse und Obst hinaus.“

Interview

Ich würde Sie bitten sich kurz vorzustellen.

Ich bin Sozioökonom und arbeite an der Wirtschaftsuniversität zu den Themen zukunftsfähiges Wirtschaften, sozialökologische Transformation und Stadtentwicklung.

Wie sehen Sie die aktuellen Entwürfe einer Markthalle am Naschmarkt-Parkplatz, aus Ihrer Fachperspektive?

Grundsätzlich finde ich die Idee Märkte zu stärken und gegebenenfalls auch Markthallen zu errichten durchaus interessant. Es ist immer die Frage an welchem Ort zu zulasten welcher anderer Nutzungen. Ich zweifle aber, ob am Naschmarkt-Parkplatz eine Markthalle das Angebot ist, das hier am dringendsten gebraucht wird. Also ich fände eine Markthalle im 22. Bezirk eine geniale Idee. Zur Aufwertung solcher Ortsteile fände ich das sehr spannend, da sie keine dicht verbauten Gebiete sind, wie dies im Gründerzeit-Wien der Fall ist. Das ist glaube ich das Kernproblem, in diesem extrem dicht besiedelten und grünraumarmen Teil der Stadt.

Wie kann man den Naschmarkt tiefgehend aufwerten?

Das eine ist, dass es in Wien gewisse Tendenzen zum Übertourismus gibt. Der Naschmarkt ist einer dieser Orte. Das wirft die allgemeine Frage nach der Tourismusstrategie der Stadt Wien auf. Es gibt Bemühungen, die sicher sinnvoll sind, Touristenströme dezentraler zu lenken und zu organisieren. Es gibt ja auch andere Märkte, die mittlerweile mehr Marktflair haben, als der Naschmarkt aktuell hat.

Das Hauptproblem am Naschmarkt ist die Konkurrenz von touristischen Verwertungsinteressen, die tendenziell rentabler sind, als auf die lokale Bevölkerung ausgerichtet. Die Kernidee von Märkten ist die Nahversorgung. Diese ist am Naschmarkt durch die Gastronomie stark unter Druck gekommen. Gastronomie ist nicht an sich das Problem. Das brauchen Märkte zu einem gewissen Teil. Es braucht einen Mix. Es gibt ein Bewusstsein der Stadt Wien in Richtung Ausgewogenheit. Es ist die Frage, ob die Markthalle an diesem Standort die richtige Lösung für das konkrete Problem ist. 

Ich glaube, dass die jetzige Stadträtin, die ja früher schon für Märkte zuständig war, versucht hat diese zu stärken. An sich sollte es jetzt Obergrenzen auch für Gastronomiebetriebe geben, die einen gewissen Mix schaffen. Wenn man bestimmte kurzfristige, rentable Nutzungen, und das dürfte die Gastronomie sein, einschränkt, ist das für einzelne Marktstände ein kurzfristiger Verlust. Aber das muss die Stoßrichtung sein, das trotzdem umzusetzen.

Könnte eine Markthalle den bestehenden Naschmarkt durch Konkurrenz beleben?

Konkurrenz belebt, ja. Die Frage ist: Braucht es an diesem Ort einen noch größeren Markt, denn klein ist der Naschmarkt nicht. Es ist ein Problem der Stadt Wien, die es nicht gewohnt ist, Entscheidungen zu treffen. Weil dort würde das heißen Strukturen zu verändern. Dann nimmt man gegebene Strukturen als gegeben und erreicht das Ziel größerer Vielfalt, indem man expandiert. Das ist eine konfliktvermeidende Vorgangsweise. Diese ist aber aus verschiedenen Gründen, insbesondere Verfügbarkeit von Mitteln und ökologische Krise, weshalb sich Konflikte in den nächsten Jahren zuspitzen werden. Es ist eine verfehlte verkehrspolitische Idee, dass Autos, Fußgänger und Radfahrer gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer sind. Die Ökologisierung der Stadt braucht auch Entscheidungen und dann heißt es eben bestimmte bestehende Interessen einzuschränken. Es ist leichter, alles zu belassen und an einem neuen Ort zusätzliche Nahversorgung zu schaffen. Das ist eine mögliche konfliktfreie Organisation der Stadt. Das kann nur zu zwei Ergebnissen führen: entweder die Schwächeren verlieren, also es geht auf Kosten der Radfahrer zu Fußgänger, oder zulasten von Grünraum, der potentiell geschaffen werden könnte.

Welche Form einer Umgestaltung am Naschmarkt-Parkplatz kann für die WienerInnen eine Verbesserung ihrer Lebensqualität schaffen?

Wir haben für die Stadt Wien ein kleines Projekt durchgeführt an einem kleinen Markt im 18. Bezirk. Der Johann-Nepomuk-Vogl-Platz ist Platz und Markt. Der Markt ist dementsprechend sehr klein. Daher konnte er zur Gänze umgestaltet werden. Die Herausforderungen, die es dort gab, sind glaube ich die gleichen, die es überall gibt. Wie schützt man nicht kommerzielle Nutzungen vor den Zugriffen kommerzieller Nutzungen. Ein glücklicher Umstand am Vogl-Platz ist, dass er Markt, Stadgartenamt und Parkgebiet hat. Da konnte man einen schönen Mix aus kommerziellen und nicht kommerziellen Nutzungen schaffen. Im dicht verbauten Gebiet des 4. – 6. Bezirks ist die Schaffung nicht kommerzieller Naherholungsmöglichkeiten wahrscheinlich die oberste Priorität. Da diese in der Enge des Naschmarkts nicht möglich und dem Naschmarkt auch glaube ich nicht zumutbar sind, ist es eine große Chance, ein angrenzendes Grundstück zu haben, auf dem man einen Kontrapunkt setzen kann. Das ist der soziale Grund einer öffentlichen Grünraumgestaltung. Der zweite Grund ist ein ökologischer. Wir erleben die Hitze in den letzten zwei Wochen und die Vorhersagen, dass es in den nächsten 30 Jahren um acht Grad wärmer werden soll, erscheinen immer plausibler. Deswegen ist die Top-Priorität, Grünraum zu schaffen. Diese Grünraumschaffung ist auch von großer Bedeutung unter dem Gesichtspunkt sozialer Gerechtigkeit. Man sieht, dass sich die Stadt am Wochenende leert, weil die, die Geld haben, ihre Freizeit irgendwo anders verbringen. Die anderen, die kein Geld haben, bleiben zurück. Sie brauchen nicht kommerzielle Räume in der Nachbarschaft.

Denken Sie, dass die Schaffung eines Naherholungsgebiets mit der Schaffung eines weiteren Marktabschnittes ökonomisch mithalten kann? Oder vielleicht einen Mehrwert bringt, weil es eine Ergänzung schafft?

Das ist eine höher geordnete Fragestellung. Das ist die Frage, ob man Well-being und Wohlstand anders definiert, als in den letzten 70 Jahren. Tatsächlich zwingt uns, glaube ich, die ökologische Krise, dass wir versuchen Bedürfnisse vermehrt nicht über Geld und Konsum zu befriedigen, sondern über raumplanerische Infrastruktur-Investitionen, die Kultur, Erholung und Ökologisierung ermöglichen. Das gehört aufgewertet, um ein gutes Leben zu ermöglichen. Deshalb sollte aus meiner Sicht dieser Platz ein Grünraum werden.

Zum anderen Argument, dieses hat zwei Seiten. Sofern es die Nahversorgung betrifft, ist es ein Null-Summen-Spiel. Die WienerInnen kaufen da oder dort. Das ist dann eine Frage der Qualität, etc. Kaufen sie am Markt oder im Supermarkt? Aber in der Menge ist kein ökonomischer Effekt. Der ökonomische Effekt ist über den Tourismus und in der Tat ist das ein riesen Thema, dem sehr wenig politische Aufmerksamkeit zukommt. Da Wien, so wie viele andere Städte, massiv auf Städtetourismus gesetzt hat, ist es auch sehr stark von Covid betroffen. Hier muss man glaube ich die Frage thematisieren: Kann man die Qualität des Tourismus verändern? Wie ich früher im Interview gesagt habe, spricht viel dafür, den Wiener Tourismus dezentraler zu organisieren. So kann man mehr von Wien mitkriegen als immer die gleichen Orte abzugehen. Man verändert auf diese Weise die Qualität des Tourismus, was dann ökonomisch vielleicht sogar ein Gewinn ist. Weil er diversifiziert wird. Auf der anderen Seite gehören bestimmte Formen des Massentourismus auch aus ökologischen Gründen zurückgefahren. Das tatsächlich umzusetzen, schafft kurzfristig ökonomische Probleme, weil Tourismus ein sehr wichtiger Wirtschaftszweig in Wien ist. Es braucht also dringend einen Strukturwandel des Tourismus.

Gibt es aktuelle Projekte, die für diese Umgestaltung als Vorbild dienen können?

Der Nepomuk-Vogl-Platz ist zwar ein sehr kleiner Platz, aber er ist definitiv ein best-practice. An sich glaube ich, dass planerisches Know-how in Wien vorhanden ist. Sowohl von den Magistratsabteilungen als auch von den diversen Planungsbüros, die es in Wien gibt. Daran sollte es nicht scheitern und groß genug ist das Projekt, dass man es als Wettbewerb organisieren kann. Da würde ich eigentlich garantieren, dass da was Gutes rauskommt. Wenn die Vorgaben klar sind, die aber eigentlich auch sehr naheliegend sind.

Was ist beim Nepomuk-Vogl-Platz so gut gelaufen, dass man ihn als Vorbild betrachten kann?

Wien ist eine extrem gut organisierte Stadt mit vielen Magistratsabteilungen. Das Problem ist, dass es keine klare horizontale Integration gibt, also bsw. wie das Stadtgartenamt mit anderen Magistratsabteilungen arbeitet, die für die Straßen, die Märkte oder die Müllentsorgung verantwortlich sind. So ist man rasch bei sechs – acht Magistratsabteilungen, die dann zum Teil bei unterschiedlichen StadträtInnen ressortieren, die bei einem Projekt involviert sind. Dann braucht es eine Einrichtung, die alle zusammen bringt. Diese Rolle könnte die Bezirksvorstehung einnehmen. Am Naschmarkt ist das schwieriger als am Vogl-Platz, denn hier sind mehrere Bezirke betroffen und müssen koordinieret werden. Aber immerhin sind die betroffenen BezirksvorsteherInnen der selben Partei zugehörig. Das Erfolgskonzept ist eine klare Vorgangsweise und eine bestmögliche Kooperation der Magistratsabteilungen.

Wie stehen Sie als Wiener zu der Umgestaltung abgesehen von der Expertenrolle, die ihnen hier zukommt?

Diese Rollen sind für mich nicht trennbar. Ich glaube, dass es in den inneren Bezirken Wiens, damit meine ich, dass es in dem Gründerzeit verbauten Teil Wiens mehr qualitätsvolle öffentliche Räume und mehr Grünraum braucht. Es ist eine Frage der Lebensqualität, dass Parkraum in Grünraum umgewidmet wird. Das ist der Leitgedanke, für das gründerzeitliche Wien, das ja entstanden ist als es noch keine Autos hab. Da waren die Straßen noch öffentlich genutzt. Ich glaube es geht um die Wiederaneignung der öffentlichen Räume für die Nahversorgungsqualität in einem umfassenden Sinn. In diesem geht die Nahversorgung über das Kaufen von Gemüse und Obst hinaus. Ein Park ist auch eine Form der Nahversorgung. Der ist dort, meiner Meinung nach, wichtiger, als eine Ausweitung des Naschmarkts.

Sehen Sie dort einen Park?

Ich kann mir dort am besten einen Park vorstellen. Das heißt nicht, dass da alles grün sein muss. Aber definitiv etwas, wo man sich auch vor Hitze schützen kann. Am Vogl-Platz gibt es Wasserspiele. Genaueres würde ich allerdings den Fachleuten überlassen, Aber grundsätzlich sollte es tendenziell eine nicht kommerzielle, grünraumschaffende Fläche werden.